Das grausige Grimoire - Tiefer Schlummer: Unterschied zwischen den Versionen

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Tiefer Schlummer  
 
Tiefer Schlummer  
  
Es war ein Traum. Es musste ein Traum sein. Ein Albtraum. Sie schloss die Augen und atmete zehn Mal tief ein, wie es ihre Mutter ihr beigebracht hatte, wenn die Furcht sie überkam. Dann würde es sicher verschwinden. Flüsterleise zählte sie vor sich hin und versuchte, das Scharren vor der Türe zu ignorieren. In der Dunkelheit gibt es nichts zu fürchten, das hatte Papa ihr versprochen. Es war nur ihre lebendige Vorstellungskraft. Endlich waren die zehn Sekunden verstrichen und sie linste langsam verstohlen unter ihren Augenlidern hervor. Das Scharren war immer noch da und im trüben Licht ihres Holz ausgekleideten Schlafzimmers konnte sie durch den Türspalt noch immer die unbekannte gekrümmte, skelettartige Gestalt ausmachen, die neben dem Bett ihrer Eltern kniete. Der faulige Geruch, der sie umgab, hing noch immer in der Luft. Die Betthälfte, in der der Vater des Mädchens normalerweise schlief, war leer. Er war auf einem Markt in einer der benachbarten Städte unterwegs. Das lange silbrige Haar ihrer Mutter ruhte sanft auf dem Kissen neben der leeren Fläche. Sie schlief. Tief und fest. Der rasselnde Atem des gebeugten Wesens tönte durch das Häuschen, sein Gesicht war durch die Kapuze seines Umhangs in tiefe Finsternis gehüllt und nicht zu erkennen. Es streckte eine knochendürre Hand aus und strich damit über die Brust ihrer Mutter. Es erhob sich mit Gerassel und wandte sich der offenen Tür zu, die Finger vorsichtig von sich gespreizt. Verstohlen beobachtete sie, wie der Eindringling seinen Körper mit schmerzlich langsamen Bewegungen durch den engen Korridor und in ihr Zimmer hievte. Mit grazilen Bewegungen hob er seine blutrot triefenden Finger und schmierte etwas an die Wand, die ihrem Bett gegenüber lag. Das Flackern des verglimmenden Kaminfeuers tanzte unruhig über das Holz und machte die Schrift unleserlich, während ihre Augen versuchten, sich an die Finsternis zu gewöhnen. Nahezu unerträglich langsam drehte sich die Figur um und bewegte sich auf ihr Bett zu. Die Furcht lähmte sie, sie presste die Augen fest zusammen und tat so, als würde sie schlafen. Niemand eilte ihr zu Hilfe. Sie war mutterseelenallein an einem Ort, der ihr einst der sicherste der Welt schien. Angespannt versuchte sie, ihren Atem gleichmäßig zu halten, als sie einen Hauch von Bewegung verspürte, der über ihre Haut streifte. Die Figur kauerte nieder und glitt mit einer einzelnen knarrenden Bewegung unter ihr Bett. Das Mädchen spürte das Wanken des Rahmens unter ihrem hilflosen Körper. Sie konzentrierte sich auf ihre flachen und regelmäßigen Atemzüge und kämpfte mit aller Macht gegen ein Würgen an, das durch den verrotteten Geruch des Eindringlings in ihrer Kehle aufstieg. Im Stillen flehte sie ihre Mutter an, aufzuwachen und ihr zur Rettung zu eilen. Wie konnte sie nur nicht wissen, dass ihr Kind in Not war? Ihre Eltern hatten ihr versprochen, immer für sie da zu sein, und nun lag ihre Mutter einfach schlafend da. Sie fürchtete, dass die schallenden Schläge ihres Herzens sie verraten würden. Das Pochen war so laut - wie konnte es sein, dass der Eindringling nicht merkte, dass sie ihn gesehen hatte? Um die in ihr aufsteigende Panik zu unterdrücken, öffnete sie erneut langsam die Augen. Die Dunkelheit wirkte nicht mehr gar so finster. Und nun konnte sie die Worte auf der gegenüberliegenden Wand entziffern. 'Ich weiß, dass du wach bist.'
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Es war ein Traum. Es musste ein Traum sein. Ein Albtraum. Sie schloss die Augen und atmete zehn Mal tief ein, wie es ihre Mutter ihr beigebracht hatte, wenn die Furcht sie überkam. Dann würde es sicher verschwinden.  
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Flüsterleise zählte sie vor sich hin und versuchte, das Scharren vor der Türe zu ignorieren. In der Dunkelheit gibt es nichts zu fürchten, das hatte Papa ihr versprochen. Es war nur ihre lebendige Vorstellungskraft.  
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Endlich waren die zehn Sekunden verstrichen und sie linste langsam verstohlen unter ihren Augenlidern hervor.  
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Das Scharren war immer noch da und im trüben Licht ihres Holz ausgekleideten Schlafzimmers konnte sie durch den Türspalt noch immer die unbekannte gekrümmte, skelettartige Gestalt ausmachen, die neben dem Bett ihrer Eltern kniete. Der faulige Geruch, der sie umgab, hing noch immer in der Luft.  
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Die Betthälfte, in der der Vater des Mädchens normalerweise schlief, war leer. Er war auf einem Markt in einer der benachbarten Städte unterwegs. Das lange silbrige Haar ihrer Mutter ruhte sanft auf dem Kissen neben der leeren Fläche. Sie schlief. Tief und fest.  
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Der rasselnde Atem des gebeugten Wesens tönte durch das Häuschen, sein Gesicht war durch die Kapuze seines Umhangs in tiefe Finsternis gehüllt und nicht zu erkennen. Es streckte eine knochendürre Hand aus und strich damit über die Brust ihrer Mutter. Es erhob sich mit Gerassel und wandte sich der offenen Tür zu, die Finger vorsichtig von sich gespreizt. Verstohlen beobachtete sie, wie der Eindringling seinen Körper mit schmerzlich langsamen Bewegungen durch den engen Korridor und in ihr Zimmer hievte.  
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Mit grazilen Bewegungen hob er seine blutrot triefenden Finger und schmierte etwas an die Wand, die ihrem Bett gegenüber lag.  
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Das Flackern des verglimmenden Kaminfeuers tanzte unruhig über das Holz und machte die Schrift unleserlich, während ihre Augen versuchten, sich an die Finsternis zu gewöhnen.  
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Nahezu unerträglich langsam drehte sich die Figur um und bewegte sich auf ihr Bett zu. Die Furcht lähmte sie, sie presste die Augen fest zusammen und tat so, als würde sie schlafen. Niemand eilte ihr zu Hilfe. Sie war mutterseelenallein an einem Ort, der ihr einst der sicherste der Welt schien.  
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Angespannt versuchte sie, ihren Atem gleichmäßig zu halten, als sie einen Hauch von Bewegung verspürte, der über ihre Haut streifte. Die Figur kauerte nieder und glitt mit einer einzelnen knarrenden Bewegung unter ihr Bett. Das Mädchen spürte das Wanken des Rahmens unter ihrem hilflosen Körper.  
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Sie konzentrierte sich auf ihre flachen und regelmäßigen Atemzüge und kämpfte mit aller Macht gegen ein Würgen an, das durch den verrotteten Geruch des Eindringlings in ihrer Kehle aufstieg. Im Stillen flehte sie ihre Mutter an, aufzuwachen und ihr zur Rettung zu eilen. Wie konnte sie nur nicht wissen, dass ihr Kind in Not war? Ihre Eltern hatten ihr versprochen, immer für sie da zu sein, und nun lag ihre Mutter einfach schlafend da.
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Sie fürchtete, dass die schallenden Schläge ihres Herzens sie verraten würden. Das Pochen war so laut - wie konnte es sein, dass der Eindringling nicht merkte, dass sie ihn gesehen hatte?  
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Um die in ihr aufsteigende Panik zu unterdrücken, öffnete sie erneut langsam die Augen. Die Dunkelheit wirkte nicht mehr gar so finster. Und nun konnte sie die Worte auf der gegenüberliegenden Wand entziffern.  
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'Ich weiß, dass du wach bist.'
  
 
[[Kategorie:Geistergeschichten aus Gielinor]]
 
[[Kategorie:Geistergeschichten aus Gielinor]]

Aktuelle Version vom 1. November 2017, 16:55 Uhr

Tiefer Schlummer

Es war ein Traum. Es musste ein Traum sein. Ein Albtraum. Sie schloss die Augen und atmete zehn Mal tief ein, wie es ihre Mutter ihr beigebracht hatte, wenn die Furcht sie überkam. Dann würde es sicher verschwinden.

Flüsterleise zählte sie vor sich hin und versuchte, das Scharren vor der Türe zu ignorieren. In der Dunkelheit gibt es nichts zu fürchten, das hatte Papa ihr versprochen. Es war nur ihre lebendige Vorstellungskraft.

Endlich waren die zehn Sekunden verstrichen und sie linste langsam verstohlen unter ihren Augenlidern hervor.

Das Scharren war immer noch da und im trüben Licht ihres Holz ausgekleideten Schlafzimmers konnte sie durch den Türspalt noch immer die unbekannte gekrümmte, skelettartige Gestalt ausmachen, die neben dem Bett ihrer Eltern kniete. Der faulige Geruch, der sie umgab, hing noch immer in der Luft.

Die Betthälfte, in der der Vater des Mädchens normalerweise schlief, war leer. Er war auf einem Markt in einer der benachbarten Städte unterwegs. Das lange silbrige Haar ihrer Mutter ruhte sanft auf dem Kissen neben der leeren Fläche. Sie schlief. Tief und fest.

Der rasselnde Atem des gebeugten Wesens tönte durch das Häuschen, sein Gesicht war durch die Kapuze seines Umhangs in tiefe Finsternis gehüllt und nicht zu erkennen. Es streckte eine knochendürre Hand aus und strich damit über die Brust ihrer Mutter. Es erhob sich mit Gerassel und wandte sich der offenen Tür zu, die Finger vorsichtig von sich gespreizt. Verstohlen beobachtete sie, wie der Eindringling seinen Körper mit schmerzlich langsamen Bewegungen durch den engen Korridor und in ihr Zimmer hievte.

Mit grazilen Bewegungen hob er seine blutrot triefenden Finger und schmierte etwas an die Wand, die ihrem Bett gegenüber lag.

Das Flackern des verglimmenden Kaminfeuers tanzte unruhig über das Holz und machte die Schrift unleserlich, während ihre Augen versuchten, sich an die Finsternis zu gewöhnen.

Nahezu unerträglich langsam drehte sich die Figur um und bewegte sich auf ihr Bett zu. Die Furcht lähmte sie, sie presste die Augen fest zusammen und tat so, als würde sie schlafen. Niemand eilte ihr zu Hilfe. Sie war mutterseelenallein an einem Ort, der ihr einst der sicherste der Welt schien.

Angespannt versuchte sie, ihren Atem gleichmäßig zu halten, als sie einen Hauch von Bewegung verspürte, der über ihre Haut streifte. Die Figur kauerte nieder und glitt mit einer einzelnen knarrenden Bewegung unter ihr Bett. Das Mädchen spürte das Wanken des Rahmens unter ihrem hilflosen Körper.

Sie konzentrierte sich auf ihre flachen und regelmäßigen Atemzüge und kämpfte mit aller Macht gegen ein Würgen an, das durch den verrotteten Geruch des Eindringlings in ihrer Kehle aufstieg. Im Stillen flehte sie ihre Mutter an, aufzuwachen und ihr zur Rettung zu eilen. Wie konnte sie nur nicht wissen, dass ihr Kind in Not war? Ihre Eltern hatten ihr versprochen, immer für sie da zu sein, und nun lag ihre Mutter einfach schlafend da.

Sie fürchtete, dass die schallenden Schläge ihres Herzens sie verraten würden. Das Pochen war so laut - wie konnte es sein, dass der Eindringling nicht merkte, dass sie ihn gesehen hatte?

Um die in ihr aufsteigende Panik zu unterdrücken, öffnete sie erneut langsam die Augen. Die Dunkelheit wirkte nicht mehr gar so finster. Und nun konnte sie die Worte auf der gegenüberliegenden Wand entziffern.

'Ich weiß, dass du wach bist.'